Die Türen von Stone Town
Die massiven, überbordend geschmückten Türen von Stone Town sind Zeugnis der kulturellen Wurzeln Sansibars. Hier treffen swahilische, arabische und indische Traditionen aufeinander. Mehr noch – beim genauen Hinschauen erzählen sie die Geschichte der ursprünglichen Erbauer des Hauses.
Ein Spaziergang durch das Labyrinth der Gassen von Stone Town ist ein Erlebnis. Auf den wenigen Quadratmetern zwischen den dicht stehenden Häusern wird gehandelt und gewerkelt. Immer wieder ins Auge fallen die prachtvoll geschnitzten Türen an teils schmucklosen, teils imposanten Fassaden. Es gibt mehr als 500 dieser Prachttüren.
Nach einiger Zeit werden Sie Unterschiede im Dekor feststellen. Und Sie werden vielleicht auch bemerken, dass sich die Dekoration je nach Stadtteil unterscheidet. Kein Wunder, denn die Stadt ist in ethnische Viertel unterteilt. In dem einen Viertel dominieren die arabischen Einflüsse, im nächsten die indischen, im dritten die swahilischen. Und dies spiegelt sich auch in der Architektur.
Wie unterscheiden sich arabische, indische und swahilische Türen?
Die swahilischen Türen sind vergleichsweise schlicht. Es sind rechteckige Holztüren mit einfacheren Schnitzereien.
Die arabischen Türen sind ebenfalls rechteckige Holztüren. Sie haben aufwändig verzierte Rahmen. Neben Bildern zieren sie oft Inschriften auf dem Koran. Türen neueren Datums sind zusätzlich noch mit Messingnieten versehen.
Am auffälligsten sind die indischen Türen, auch Gujarati-Türen genannt. Sie haben oft gewölbte Rahmen über der Tür – ein wenig wie in Maharadscha-Palästen. Viele sind in kleinere Abschnitte unterteilt und haben Klappläden. Besonders stechen bei den indischen Türen die großen Messingspitzen und -bosse hervor. Sie wurden in Indien traditionell zum Schutz der Türen vor Elefanten verwendet, dienten auf Sansibar aber als Ausdruck von Wohlstand. Die Türen sind vor allem in der Region des Bazars zu sehen, weil hier die indischen Geschäftsmänner lebten.
Was erzählen die Türen von Stone Town über ihre Erbauer?
Der Hausbau auf Sansibar begann mit dem Schnitzen der Tür. Denn die Tür symbolisierte den Status des Hausherren. Je größer und aufwändiger die Tür, desto reicher der Inhaber.
Die Verzierungen erzählen einiges über den Hintergrund der Erbauer. Wellenartige Muster zeigen an, dass der Hausherr im Seehandel tätig war, Fische, dass er ein Fischhändler war. Weinreben sind in Hinweise auf Gewürzhandel, Kettensymbole auf den Sklavenhandel.
Manche Interpretationen besagen, dass die Symbole dem Schutz der Bewohner dienten. Die Ketten etwa, so die Vermutung, sollte böse Geister anketten und so dem Haus fernhalten. Ähnlich auch die Interpretation der Koran-Zitate. Sie seien eine „handgefertigte Versicherungspolice“, sollten sie doch einen wohlwollenden Einfluss ausüben.
Und heute?
Die Anzahl der historischen Türen nimmt rapide ab. Das Klima setzt den Gebäuden und dem alten Teakholz zu, die Mittel zum Renovieren sind begrenzt. Und auch ausländische Käufer haben gefallen an den Türen gefunden, kaufen sie und nehmen sie mit in ihre Heimatländer.
Gleichzeitig aber werden neue Türen geschnitzt. Für Boutiquehotels etwa. Sie sind nicht mehr aus Teakholz, sonders aus Mahagoni, ihr Dekor ist eine Mischung aus den verschiedenen Traditionen. Und doch garantieren sie ein Weiterleben der prachtvollen Türen von Stone Town.